Autor
Torsten Krug, geboren 1973 in Stuttgart, studierte Neuere deutsche Literatur, Musikwissenschaft und Philosophie in Tübingen und absolvierte eine klassische Gesangsausbildung. Nach seinem Magister arbeitete er als Regieassistent und Regisseur am Volkstheater Rostock sowie am Schauspiel Chemnitz und war Assistent u.a. von Katharina Thalbach und Katja Paryla. Seit 2006 lebt er als freier Regisseur und Autor in Wuppertal.
Zusammen mit der Dramaturgin Uta Atzpodien (vormals mit der Musikerin Katrina Schulz) ist er Gastgeber des Literatursalons »Literatur auf der Insel« im Wuppertaler Café ADA, in den sie renommierte Autor*innen aus dem In- und Ausland einladen.
Als Herausgeber und Redakteur verantwortete er von 2016 bis 2019 die Literaturzeitschrift KARUSSELL mit.
Seit 2014 ist er Jury-Mitglied beim Deutschen Kinderhörspielpreis der ARD und der Filmstiftung NRW.
Ebenso seit 2014 gestaltet er als Kurator das Programm der Wuppertaler Literatur Biennale mit.
Buchveröffentlichungen: »Das Handwerk des Träumens. Georg Klusemann. Portrait des Künstlers in Selbstzeugnissen« (2015) und »In unserer Mitte. Gespräche mit syrischen Geflüchteten« (2017) .
Seit 2018 schreibt Torsten Krug regelmäßig Kolumnen in der Westdeutschen Zeitung für )) freies netz werk )) KULTUR.
Seit 2024 hat er einen Lehrauftrag für Theatergeschichte an der Folkwang Universität der Künste.
Theaterstücke
Ich kann des Nachts nicht schlafen vor lauter Ideen des Jahrhunderts
Eine Engelsmaschine
von Torsten Krug
UA: die börse Wuppertal, Januar 2021
Fast zwei Jahrzehnte, von 1850 bis 1869, lebt Friedrich Engels in Manchester ein Leben voller Widersprüche. Tagsüber »Baumwoll-Lord«, des Nachts revolutionärer Sozialist, wird er zum Mitbegründer einer Lehre, die seinen eigenen Klasseninteressen widerspricht. Um die kommunistische Sache voranzutreiben, unterstützt er Marx mit regelmäßigen Unterhaltszahlungen und steht ihm als Briefpartner mit Recherchen und Expertisen aus der kapitalistischen Praxis beim Schreiben zur Seite. Für Familie und Geschäftspartner muss er die Fassade des Besitzbürgers aufrecht erhalten. Als Bourgeois und Kapitalist mit repräsentativer Wohnung beteiligt er sich an der Fuchsjagd; privat unterhält er als Liebhaber der irischen Arbeiterinnen Mary und Lizzie Burns eine geheime Zweitwohnung.
Die Engelsmaschine macht die Parallelwelten und seine Verwandlungen zum Thema – wie auch den »ersten Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt«: »den Antagonismus von Mann und Weib«. Eine Frau von heute taucht ein in die Gedankenwelt von Friedrich Engels, die viel über unsere moderne Welt zu erzählen hat. Umgeben von Technik und Kameras, geht Engels auf Sendung, mit allen Widersprüchen.
Odyssee
Frei nach Homer
Fassung von Torsten Krug,
Übersetzung: Johann Heinrich Voß
UA: Wuppertaler Bühnen, Januar 2017
Nach zehn zermürbenden Kriegsjahren tritt Odysseus die Heimreise an – und ist noch einmal zehn Jahre unterwegs. Der Begriff »Odyssee« ist zum Synonym für eine lange Irrfahrt, Odysseus zum Inbegriff des suchenden Menschen geworden.
Eine Vision des Friedens ist in diesem Urmythos der abendländischen Kultur verborgen: das Bild des Gartens, des Ackerbaus – des Mannes, der das Ruder gegen einen Spaten tauscht ...
Veröffentlichungen

In unserer Mitte

Das Handwerk des Träumens
Kolumnen
Wider den Horror vacui
Warum wir alle mehr Leerlauf brauchen
30. April 2025
Bei einer Rückschau auf die Kolumnen seit 2018 kam ich aus dem Kopfschütteln und Staunen nicht heraus: Nach Jahren der Konsolidierung, der Vernetzung innerhalb der freien Szene in Wuppertal, dem intensivierten Dialog mit der Politik und dem Publikum stieß uns eine Pandemie nie gekannten Ausmaßes vor die Brust – ein Schock, der gesamtgesellschaftlich noch nicht einmal aus der Phase der Verdrängung heraus, geschweige denn ansatzweise bearbeitet ist. Zwei Jahre und länger kreisten unsere Kolumnen um die gemeinsamen Leerstellen, den »horror vacui«, das fehlende Zusammenkommen, und um die Bedeutung alles Künstlerischen, das uns auch und gerade im Lockdown rettete, jedes Buch, jede Platte, jeder Gedanke, jeder Film.
Schwieriger Umgang mit Nachrichten
26. März 2025
Wann hat das eigentlich angefangen, dass man auf die Frage „Wie geht`s?“ zu hören bekommt: „Na ja, nicht so gut – angesichts der Weltlage“? Oder: „Mich nimmt das alles sehr mit – die Weltlage“? Ich nehme mich von diesen Antworten nicht aus und kann sie sehr gut verstehen. Nicht die persönliche Situation, eine private Entwicklung scheinen manchmal am bedeutsamsten, sondern: „die Weltlage“.
Kultur als Spiegel der Selbstwirksamkeit
19. Februar 2025
Vergangene Woche war ich wieder beim „Artist Diploma“ in Bochum, den Abschlussprüfungen des Studiengangs Schauspiel der renommieren Folkwang Universität der Künste. Das Besondere an diesen Vorspielen ist, dass die Studierenden nicht nur spielen, sondern alles – vom Text über die Inszenierung zur Beleuchtung und Musik – selbst machen. Diese kleinen großen Stücke der jungen Theaterschaffenden sind wie Seismografen für aktuelle gesellschaftliche Diskurse. Auffällig in diesem Jahr war für mich, dass alle Stücke vom absurden Theater geprägt schienen, größere Nähe zur Performance als zum Schauspiel aufwiesen und im Grunde alle – mehr oder weniger komisch – mit dem Weltuntergang spielten. Das ging mir ziemlich nahe.
Kunst im Kampf gegen Ideologie
15. Januar 2025
Ich habe nachgeschaut (unter ➜ fnwk.de/kolumne können Sie alle Texte, die seit Januar 2018 erschienen sind, nachlesen): Meine erste Kolumne im Jahr 2024 trug den Titel „Kultur gegen Brandstifter“. Sie beschäftigte sich mit Erfolgsstrategien der Neuen Rechten und möglichen Reaktionen der Kultur darauf. Einige Jahre zuvor hatte ich im Osten „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch inszeniert und auf diese Thematik zugespitzt.
In unserer Mitte
Eine Erinnerung an Menschen, die aus Syrien geflüchtet sind
11. Dezember 2024
Vom September 2015 bis ins Frühjahr 2016 hinein waren syrische Geflüchtete einmal im Monat einer Einladung der Wuppertaler Bühnen und der Initiative „In unserer Mitte“ gefolgt, um mit den Autoren Christiane Gibiec, Dieter Jandt, Dorothea Müller, Hermann Schulz und mir zu arbeiten. In dieser Schreibwerkstatt bekamen sie Gelegenheit, ihre Geschichten von Flucht, Vertreibung und vom Aufenthalt in Deutschland zu erzählen und aufzuzeichnen.
Vom Lachen und Machen in finsteren Zeiten
06. November 2024
„Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! // Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn / Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende / Hat die furchtbare Nachricht / Nur noch nicht empfangen. // Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt! / Der dort ruhig über die Straße geht / Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde / Die in Not sind?“
Unsere Kulturwelt zwischen den Nachrichten
02. Oktober 2024
Heute möchte ich zwei scheinbar widersprüchliche Wahrnehmungen teilen: Die eine verbindet sich mit einer Bemerkung der Schriftstellerin Judith Kuckart, welche kürzlich die Premiere ihres neuen Buches „Die Welt zwischen den Nachrichten“ auf der INSEL feierte. Dieses ist zwar als Roman deklariert, stellt jedoch eine überaus dichte Reflexion eigener Lebensgeschichte dar – ein berührendes, autofiktionales Stundenbuch. Auf meine sinngemäße Frage „Warum jetzt dieses Buch?“ antwortete Kuckart, dass sie angesichts der uns täglich umbrandenden Nachrichten kaum noch fiktional schreiben könne oder wolle. Es habe sozusagen an Bedeutung verloren. Diesen – traurigen – Gedanken kann ich sehr gut nachvollziehen, ich erlebe ihn momentan sogar ausgeweitet auf das reine Lesen fiktionaler Texte. Es macht irgendwie keinen Sinn mehr, die andrängende Welt ist zu stark und zu schrecklich. Seit Wochen schon gelingt es mir – auch aufgrund intensiver privater Ereignisse – kaum noch, mich auf größere künstlerische Werke einzulassen. Bestenfalls die Aspekte der Ablenkung oder Berieselung spielen noch eine gewisse Rolle – also das Glotzen im Netz oder die arme Musik. Kunst und Kultur haben im Zusammenhang mit dieser meiner ersten Wahrnehmung nicht an Relevanz verloren, sie erscheinen jedoch wie auf ihre Oberfläche reduziert.
Von Geschichten zu Geschichte
Vom ordnenden zum individuellen Blick auf die Welt
17. Juli 2024
In der Schule habe ich mich nie sonderlich für Geschichte interessiert. Die Bücher für dieses Fach schienen mir öd; oft fiel es mir schwer, längere Abschnitte darin zu lesen, geschweige denn, mich mit ihren Inhalten zu verbinden. Geschichten hingegen haben mich schon immer fasziniert – nicht der ordnende Blick von oben aufs große Ganze, sondern der einzelne, individuelle Blick auf eine Zeit, ein Erlebnis, in unsere Welt, auf uns selbst.
Wie Publikum oder Mitstreitende erreichen?
Viel Ratlosigkeit nach der Europawahl
12. Juni 2024
Wer – zumindest in meiner Bubble – für Europa Hoffnungen hatte, wachte am Montag verkatert auf: Rechte und rechtsradikale Parteien werden im Europäischen Parlament deutlich an Einfluss gewinnen. Das mag alarmieren, gerade im Hinblick auf anstehende nationale Wahlen – möglicherweise erscheint es dramatischer, als es ist: Medienwissenschaftler wie Bernhard Pörksen sehen uns gesamtgesellschaftlich weniger gespalten als oft diagnostiziert. Nach wie vor stellen pro-europäische Parteien die deutliche Mehrheit. Letztlich ist es das Ergebnis demokratischer Wahlen, die erstmals maßgeblich von jungen Menschen mitbestimmt wurden, was prinzipiell zu begrüßen ist. Doch auch unter ihnen haben viele Rechts gewählt. Warum?
Gedanken am Rande der Biennale
Über das Wuppertaler Literaturfestival
08. Mai 2024
Wuppertal steht dieser Tage ganz im Zeichen der Literatur. In mittlerweile sieben Ausgaben hat sich die Wuppertaler Literatur Biennale zu einem veritablen Festival für zeitgenössische Literatur gemausert – mit Strahlkraft nach außen wie innen: Internationale Autorinnen und Autoren, renommierte wie aufstrebende, bereichern neun Tage lang unser Tal mit ihren Besuchen, Gedanken und Geschichten, diesmal unter dem Motto „Vom Verschwinden“. Regionale Autorinnen, Autoren und Initiativen sind an einem eigenen Tag sowie über den Festivalzeitraum verteilt in verschiedenen Formaten zu erleben.
Kulturlandschaft mit gemeinsamem Horizont
03. April 2024
In unserer schönen Stadt gibt es, wie in vielen anderen Städten weltweit, Kulturinstitutionen wie das Sinfonieorchester, die Oper oder das Schauspiel, die nahezu vollständig von der öffentlichen Hand getragen werden. Und es gibt die sogenannte freie Szene mit Musik, Kunst, Literatur, Theater und vielem mehr, deren relative Fülle gar nicht so häufig ist. Die freie Szene in Wuppertal, das weiß auch die Politik, ist etwas Besonderes. Sie erhält teilweise institutionelle Förderung, muss sich diese jedoch – auf deutlich niedrigerem Niveau – immer wieder neu sichern. Überwiegend lebt sie von der eigenen Hand in den Mund, von Fördergeldern aus Land und Bund, die sie akquiriert, womit sie eine Menge Geld in die Stadt bringt.
Nachdenken über das große Ganze
Vom ambivalenten Umgang mit existenziellen Erschütterungen
28. Februar 2024
Der große Saal des Barmer Bahnhofs ist voller Stimmen. Kinder huschen vorbei und genießen den ungewöhnlichen Ort zum Spielen, andere von ihnen, die ebenfalls mit ihren Eltern gekommen sind, sitzen konzentriert über Bildern, die sie unter der Aufsicht einer Bühnenbildnerin und eines Schauspielers malen. Auf einem von ihnen werde ich später die Wellenkämme eines Meeres erkennen, aus denen gespreizte Hände herausragen.
Kultur gegen Brandstifter
24. Januar 2024
Vor fünfzehn Jahren – und genau 50 Jahre nach dessen Uraufführung – inszenierte ich am Stadttheater Annaberg-Buchholz den modernen Klassiker „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch. Damals las ich das Stück im Lichte der vor allem im Osten längst verwurzelten „Neuen Rechten“. Diese verzichtete – wie unsere „Brandstifter“ – zunehmend auf martialische Signale wie Springerstiefel, Glatzen oder Bomberjacken und etablierte sich in der Gesellschaft durch eine Doppelstrategie aus Einschüchterung und Anbiederung: Ihre Akteure spendeten Kuchen beim Kinderfest und Bälle für den Sportverein. Sie organisierten „Hausaufgabenhilfe und Ferienbetreuung“ oder fuhren „an die mitteldeutsche ‚Hochwasserfront‘, um Sandsäcke zu schleppen“ (Die Zeit, 21. Juni 2007). Nur hin und wieder entfesselte sich die Gewalt.
Selig sind die Sanftmütigen
20. Dezember 2023
Heute fällt es mir schwer, nicht zwei Veranstaltungen, die beide am vergangenen Sonntag auf der Insel stattfanden, als Ausgangspunkt meiner Kolumne zu nehmen, ist es doch jenes volle Wochenende, das ich noch in den Knochen spüre und weshalb ich diese Zeilen mit Fieber schreibe – stärkere Eindrücke gab es nicht. Es begab sich aber zu der Zeit des Sonntags, dass am Morgen Hans Werner Otto sein neues Buch „Hier unten leuchten wir“ mit starker Musikbegleitung durch Tanja Kreiskott und Klaus Harms präsentierte: Vier Geschichten nach liebevollen Recherchen meist jüdischen Lebens in Wuppertal. Sehr viele waren gekommen und lauschten diesen Erzählungen von Vertreibung, Unterdrückung, Tod, aber auch der rührenden Geschichte um Ilse und ihre Pupse. Am selben Abend dann eine Veranstaltung der Armin T. Wegner Gesellschaft und des palästinensischen Partnerschaftsvereins Wuppertal-Salfit: „Friedliche Partnerschaft statt Hass und Gewalt“, der wir als Gastgeber – ich gebe es zu – mit leichter Sorge entgegensahen. Vorneweg: Es wurde ein großartiger, bewegender Abend.
Wie kommen wir wieder raus ins „richtige Leben“?
15. November 2023
Letztens warb das sogenannte „Portal“ ARD Kultur in den sogenannten sozialen Netzwerken in einem Werbespot mit der feinsinnigen „Message“: „Für alle, die null Bock auf Theater haben …“ – garniert mit dem Bild einer zerrissenen Theaterkarte für die Saison 23/24 – „… gibt’s hier auch Konzerte, Kino oder Comedy“. – Wow! Ein erklärter „Kultur“-Kanal wirbt gegen das Theater für seine Inhalte, von denen einige, so das Kleingedruckte, „natürlich auch Theater“ seien. Die Werbeaktion ging ganz schön nach hinten los: nicht nur in der Theaterszene – es gab auch „null Bock auf Techno?“ – sorgte sie für Irritationen bis Ärger. Mal abgesehen davon, dass hier ein völlig überholtes Theaterverständnis und ein überholter Sprachgebrauch zutage treten, stellt der Kulturjournalist Stefan Keim in der Fachzeitschrift „Theater der Zeit“ fest: „Anscheinend hat ARD Kultur nicht nur keine Ahnung vom Theater, sondern auch nicht begriffen, was Kino ist. Online können Filme gezeigt werden, natürlich. Aber Kino ist das Gemeinschaftserlebnis von Menschen in einem Raum.“
Kunst und Kultur für ein Morgen
11. Oktober 2023
Letzten Sonntag hörte ich das Masnavi-Duo auf der Insel im Ada: Ein polnischer Jazz-Pianist begegnete einem iranischen Spieler der persischen Geige namens Kamanche. Eine polnische Frau war wegen des Pianisten gekommen und filmte das halbe Konzert mit dem Handy. Sie wolle Werbung machen für dieses tolle Projekt, erklärte sie. Aus der Verbindung von scheinbar Unvereinbarem erwuchs etwas Unerhörtes, Neues: Persische Melodien in ihrer subtilen und vielfältigen Mikrotonalität erklangen vor dem Hintergrund der „westlichen“ Jazz-Harmonien. Das Klavierspiel wurde von der spirituellen Energie der Kamanche aufgeladen und vertieft.
Durch ihre Augen
06. September 2023
Kürzlich hatte ich einen Gedanken, der mich bis heute nicht loslässt: Ich saß in einer Aufführung von „Zugvögel“ von Rainer Behr auf der Insel; der belarussische Tänzer Stsiapan Hurski war zum Zentrum und Ausgangspunkt eines Stückes geworden, das sich mit Fragen nach dem Menschlichen, nach der Liebe in Zeiten diktatorischer Gewalt und Unterdrückung sowie des Aufstandes gegen sie auseinandersetzte. Die Bilder und Töne, Körper und Texte waren so intensiv, dass mir klar wurde: Hier hat ein junger Mensch etwas erleben müssen, das mir (bis heute) erspart geblieben ist, und das seinen Weg in die Kunst finden durfte. „Wir“, das Land, das ihn aufgenommen hat und in dem er nun seine Kunst zeigen kann, profitieren in gewisser Hinsicht von dieser Kraft und Authentizität. Vieles, was Künstlerinnen und Künstler beispielsweise aus der Ukraine mitbringen, wirkt – bei allem Leid und aller Schwere des Erlebten – wie eine Belebung und Bereicherung auf das Theater, die Literatur, den Tanz, die Musik. Als ich mich bei jenem Gedanken ertappte, dachte ich auch sogleich: Es ist gut so. Es macht mich wach. Ich teile etwas Wichtiges und allgemein Gültiges mit anderen Menschen, und das ist kostbar.
Der Wert von Pausen
09. August 2023
Letzte Woche, frisch aus dem erholsamen Berg-Urlaub zurück im grünsten aller Wupper-Täler, hatte ich gleich eine Probe mit unserer inklusiven Theatergruppe angesetzt. Premiere ist schließlich schon Ende September, und vor den Ferien waren etliche Proben ausgefallen. Diese stand von Beginn an fest im Probenplan. Trotzdem rief ich alle Beteiligten an und erinnerte sie an unser erstes Treffen nach der Sommerpause. Bei einigen hörte ich zaghaft heraus, dass ja noch Ferien seien. Ich sagte, ja, stimmt schon, doch wir müssten die Zeit nutzen! Sie hatten nichts anderes vor, viele waren nicht weggefahren, sie freuten sich auf das Theater – und doch kamen nur etwas über die Hälfte. Es waren schließlich noch Ferien!
Die Jazz-Revolution fing in Wuppertal an – und geht weiter
28. Juni 2023
Und wieder ist einer gegangen, es war wohl Zeit. Offenbar friedlich ist Peter Brötzmann am bisher stürmischsten Tag des Jahres in seinem Bett in der Luisenstraße in Wuppertal verstorben. Es war seit Monaten absehbar, und doch ist es immer zu früh, kommt es schmerzlich überraschend.
Für mich reiht sich Peter Brötzmann ein in eine Reihe von Menschen, denen ich erst in ihrem hohen Alter begegnen durfte. Im Rahmen der Vorbereitungen zu seinem achtzigsten Geburtstag – noch in der Pandemie – lernten wir uns kennen und schätzen, nachdem ich ihn früher ein paar Mal auf der Bühne erlebt hatte. Ende August 2021 dann konnte Insel e.V. im Ada das dreitägige Festival „BRÖtz 80!“ ausrichten, das die herausragende Stellung dieses Ausnahmekünstlers feierte. In Wuppertal war es die erste große Veranstaltung nach dem Lockdown. Die Musikerinnen und Musiker und – für mich damals verblüffend – das Publikum kamen buchstäblich aus aller Welt: aus Polen, Frankreich, Schottland, Italien oder den USA waren Menschen angereist, um diese drei Tage in unserer Jazz-Stadt mitzuerleben. Es wurde ein überwältigender Erfolg, im Nachhinein fast seine „famous last words“.
So tanz‘ ich schon seit tausend Jahr
Kultur braucht Teilhabe
24. Mai 2023
Letztes Wochenende war ich wieder einmal sehr verliebt in unsere „zahnbröckelnde Stadt“. Am Freitag hatte „die börse“ Weggefährten der letzten fünfzig Jahre zu ihrem Geburtstag eingeladen. Bewegt zollte Lukas Hegemann jenen „Giganten“ Respekt, auf deren Schultern er stünde, und meinte damit Menschen wie Dieter Fränzel, der den Abend eröffnen und Mitstreiter der ersten Stunde begrüßen konnte. Doch schnell wurde der Blick auf die Zukunft gelenkt: In einem lockeren World Café lauschten wir in mehreren Runden den Geschichten unterschiedlichster Menschen, immer mündend in der Frage: Was wünschen wir der börse für die nächsten 50 Jahre? Mir wurde an diesem Abend erneut bewusst, wie sehr dieser Ort noch immer von der Teilhabe der Stadtgesellschaft lebt: Theater mit Senioren, Schreibwerkstätten, politische Bildung – das alles findet oftmals unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit statt und zeichnet doch bis heute den Kern des Engagements an der Wolkenburg aus. Hinzu kommt: Als großes, etabliertes Kommunikationszentrum mit durchaus kommerziellem Programm hat die börse zwar lange schon die Gesellschaftsform einer gGmbH, doch steht auch hinter ihr ein gemeinnütziger Verein, dessen jungen, diversen Vorstand wir an diesem Abend kennenlernen konnten und in dem sich Menschen unserer Stadt einbringen können und sollten. Diesen Aspekt wieder ganz nach vorne zu bringen, stünde dem alten Prachtdampfer gut. Herzlichen Glückwunsch!
Wie uns Musik verbinden kann
19. April 2023
Vergangenen Freitag kamen bei uns wieder Konzertkarten zum Einsatz, die schon Jahre zuvor gekauft worden waren: Steve Hackett plus Band plus Sinfonieorchester plus Chor absolvierten in der Stadthalle gleich drei ersehnte Konzerte, nachdem sie, so Mr. Hackett, durch „the little thing called the pandemic“ immer weiter verschoben werden mussten.
Erlesene Welten
15. März 2023
Galeria Kaufhof in Elberfeld schließt im Januar kommenden Jahres. Den Krankenhäusern in Deutschland geht es existenziell schlecht. Nur zwei Nachrichten von vielen, allein in den letzten Tagen, die sich einreihen in die nüchterne Erzählung des Kapitalismus. Das Kaufhaus von heute steht im Internet. Das Krankenhaus der Gegenwart ist zu einem wirtschaftlichen Betrieb verkommen (man stelle sich nur einmal vor, die Feuerwehr oder die Polizei hätten Gewinne zu erwirtschaften und wählten die Bearbeitung von Notrufen nach deren Rentabilität aus).
Vom Weitergeben der Flamme
08. Februar 2023
In meiner ersten Kolumne im noch frischen Jahr schrieb ich über den Dialog zwischen den Generationen und fragte mich: Was bleibt? Heute werde ich schon wieder nostalgisch und möchte mein Staunen darüber teilen, wie sich die Bilder gleichen:
Neulich brachte uns Rainer Widmann ein Exemplar des „Wuppertaler Stadtbuchs 86/87“ mit. Die Älteren werden es kennen. Meine Frau und ich – als erst zwanzig Jahre später Zugezogene – kannten es nicht. Das Panorama der darin versammelten, mit Artikeln und Unmengen an Informationen unterfütterten Schlagworte reicht von „Umwelt“, „Wohnen“, „Lernen“ über „Kultur“, „Medien“, „Wirtschaft“ bis zu „Alte“, „Frauen“ (achtzehn Seiten), „Männer“ (eine leere Seite), „Frieden“ und „Sekt und Sekten“. Atmosphärische Schwarz-Weiß-Fotografien ergänzen das auf Schreibmaschine getippte, im „Sisyphos Verlag“ erschienene Buch, auf seinem Cover prangt eine Zeichnung von Eugen Egner. Es ist eine Zeitreise in die Wuppertaler Stadtgeschichte.
Was bleibt?
Über den Dialog zwischen den Generationen und zwischen den Jahren
04. Januar 2023
Im Oberösterreichischen Hallstatt, im Innern des ältesten bekannten Salzbergwerks der Welt, entsteht seit etwa zehn Jahren ein analoges Archiv für die Menschheit. Analog deshalb, weil es Jahrtausende überdauern soll, und unser ganzer digitaler Kram, der so unsterblich tut, im Laufe nur weniger Generationen verfallen sein wird. Vint Cerf, der Vize-Präsident von Google und damit einer, der das von Informatikern so benannte »digital dark age« mitprägt, ist davon überzeugt: im nächsten Jahrhundert wird kein digitales Artefakt der heutigen Zeit mehr lesbar sein. Viele Datenträger haben eine kurze Lebensdauer oder werden unbrauchbar, wenn die Technik fehlt, um sie auszulesen.
Kultur stärkt das demokratische Miteinander
30. November 2022
Neulich war ich wieder einmal bei den Hörspieltagen der ARD in Karlsruhe, einem dreitägigen Festival nur für das Hörspiel. Das gemeinsame Hören der nominierten Stücke zum Deutschen Hörspielpreis mit anschließender Jury-Diskussion, dem ich immer gerne beigewohnt habe, wurde leider aus dem Programm gestrichen – wohl aus Gründen der Geldknappheit. Das kann man jetzt nur noch im Netz. Auslöser dafür waren ursprünglich die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, sprich Kontaktbeschränkungen. Jetzt wurde es einfach dabei belassen. Na ja.
Kunst gibt der Wahrheit eine Chance
26. Oktober 2022
Letztes Wochenende war ich gleich zweimal in der Oper: Samstags die Premiere von Luigi Nonos „Intolleranza“, sonntags „Die lustige Witwe“ – kontrastreicher geht es kaum. Beides waren gelungene Abende. „Intolleranza“ erinnerte mich an die Hochzeiten der Oper Stuttgart, die dieses schwer aufzuführende Stück ins Programm nahm und zu bedeutsamen Aufführungen führte. Der sonntägliche Besuch galt als Geburtstagsgeschenk meinem Vater, der keineswegs erklärter Operetten-Freund ist, dennoch gemeinsam mit uns Freude hatte an dieser Aufführung, die das Geschehen in biederen, schein-libertären 70er-Jahre-Welten ansiedelte, in der die transportierten Geschlechterbilder gerade noch so durchgehen mochten.
Eine Stadt der vielfältigen Perspektiven
21. September 2022
Wo ein Wuppertal ist, sind auch Hügel. Sonst wäre ja da kein Tal. In unserer Stadt geht es rauf und runter, drunter und drüber – wer zu Fuß oder sonst wie mit seiner Körperkraft unterwegs ist, kann davon ein Lied singen. Das Schöne daran ist: Durch das Auf und Ab, die vielen verschlungenen Wege, Treppen und Kuppen eröffnet diese Stadt ständig neue Blickwinkel aufs Leben. Sollte das Stadtmarketing also einmal nach einem neuen Slogan für Wuppertal suchen, mein Vorschlag wäre: Wuppertal – Stadt der Perspektiven.
Auf der Suche nach Sinn
17. August 2022
Seit gut einem Jahr entwickeln und proben die Schauspielerin Silvia Munzón López und ich mit der inklusiven Theatergruppe „Bamboo“ ein Stück, das am 29. September in der Färberei seine Premiere haben soll. Ich schreibe bewusst „soll“, obwohl ich daran glaube, dass diese Aufführung stattfinden wird. Denn dieses Jahr Theaterarbeit war so durchwachsen wie die Gesamtlage: immer wieder fielen Proben für längere Zeit aus, waren unsere Spieler verunsichert, wurden krank, sprangen ab, kamen wieder. Für einige aus der Gruppe, die es gewohnt waren, nur im Sommerhalbjahr zu proben, war es eine Zeit lang zu dunkel: bei einsetzender Dunkelheit kamen sie nicht zur Probe. Zuletzt ist ein kleiner engagierter Haufen übrig geblieben – und, das ist die gute Nachricht, in seinen Möglichkeiten mächtig gewachsen: Spielerinnen, die früher eher in der zweiten Reihe standen, blühen jetzt auf und behaupten sich; zum ersten Mal arbeiten wir mehr mit geschriebenem Text, auch mit Film. Gleichwohl setzen wir nach wie vor auf das unnachahmliche Improvisationstalent dieser Gruppe.
Die Erzählungen Wuppertals
09. Juni 2022
Neulich beim Klimagespräch im einst schönen Schauspielhaus meinte ein Teilnehmer in Bezug auf Wuppertal, diese Stadt habe keine eigene Erzählung. Meine Kollegin Tine Lowisch griff diesen Faden in ihrer Kolumne auf und spann ihn weiter im Sinne von: Diese Stadt hat viele Erzählungen, ist divers, und genau das macht ihren Charme und – ja – ihren Reichtum aus. Vielleicht meinte jener Satz aber auch: „Diese Stadt weiß nicht, was sie hat“.
Pflücke den Tag, pflücke die Kunst
04. Mai 2022
Kunst ist, wenn sie glückt, eine Konfrontation mit dem Augenblick, mit dem schieren Ereignis, dass etwas ist. Ein Klang, eine Stimme, ein Ton, ein Text, eine Farbe, ein Strich – im besten Fall führen sie uns in ein intensiveres Jetzt, oftmals mit anderen zusammen. Dieses Ereignis können auch andere Momente im Leben hervorrufen, doch in der Kunst versuchen es Menschen zu schaffen – ins Werk zu setzen – auf dass es sich immer wieder ereigne, für andere Menschen.
Wir sind viele
30. März 2022
Heute knüpfe ich direkt an die Kolumne meiner Kollegin Tine Lowisch und ihrem Traum von einer Kultur der sozialen Gerechtigkeit an. Zwar glaube ich, dass Kunst- und Kulturschaffen sich freihalten sollte von moralischem Impetus – oft kann es so besser Seismograph oder Reibungsfläche sein –, doch teilen wir als Kulturschaffende sicherlich das Engagement für eine gerechtere Welt.
Kann der Frühling kommen?
Über Kulturförderung und Corona-Hilfen
23. Februar 2022
Geht es Ihnen auch so? Seit Tagen durchforste ich die Programme verschiedener Kulturorte im Tal und notiere mir mögliche Veranstaltungsbesuche in den Kalender. Dabei bin ich schon bis in den April vorgedrungen. Mein Kulturhunger ist groß, und die Hoffnung, schon bald wieder „wie früher“ an Aufführungen, Lesungen oder Konzerten teilhaben zu können, steigt. Das Angebot ist breit: Zu den regulär geplanten Veranstaltungen kommen all jene, die in den letzten Monaten (erneut) verschoben wurden. Hinzu kommt: Es häufen sich die Signale aus der Kulturpolitik, dass Corona-Unterstützungen für Künstlerinnen und Künstler sowie für Kulturorte verlängert werden. Der kommende Frühling scheint für die Kultur in jeder Hinsicht ein Füllhorn an Möglichkeiten zu bieten.
Wir erzählenden Affen
19. Januar 2022
Die Geschichte geht so: Hemingway sitzt mit einigen Freunden zusammen und wettet mit ihnen, er könne mit nur sechs Worten eine Geschichte erzählen. Alle legen ihm ihre zehn Dollar Einsatz auf den Tisch und Hemingway schreibt auf eine Serviette: „For sale: baby shoes, never worn.“
Was fehlt, wenn Kultur uns nicht verbinden darf
15. Dezember 2021
Bevor ich diese Kolumne schrieb, habe ich nachgesehen: es ist schon die vierte in einem Dezember! Seit Januar 2018 gibt die Westdeutsche Zeitung Mitgliedern von „)) freies netz werk )) KULTUR“ wöchentlich diese Bühne. Freiraum für persönliche Gedanken einzelner Kulturschaffender, für Beobachtungen, die sonst unter dem Radar der Berichterstattung blieben.
Sind wir schon bereit für Neues?
Über Nachhaltigkeit in der Kultur
10. November 2021
Seit ein paar Wochen pflegen meine Frau und ich ein Ritual, dem wir bisher nur im Urlaub Raum gaben: Wir beginnen jeden Tag damit, dass wir zusammen im Bett eine Kanne Kaffee trinken und über alles sprechen, was uns aus der Nacht in den Sinn kommt. Wir genießen diese wie geschenkte halbe Stunde sehr – kleine Inseln der Reflexion oder auch für Albernheiten. Manchmal geben sie mir das Gefühl, die Zeit verlangsamen zu können.
Haben wir uns verloren?
06. Oktober 2021
Eigentlich handelt diese Kolumne von der sogenannten freien Kulturszene. Aktuell gehört die Oper Wuppertal auch ein wenig dazu. Vergangenen Sonntag eröffnete sie ihre Saison mit der Händel-Oper „Julius Caesar“. Bei der Begrüßung im Malersaal auf dem Gelände der Firma Riedel meine ich dem Intendanten Berthold Schneider die besondere Emotionalität dieses Ereignisses anzuhören: Seit Oktober 2020 konnten die Sängerinnen und Sänger nicht mehr in direkten Kontakt mit ihrem Publikum treten! Nach den Wirren der immer weiter verlängerten Schließungen durch die Corona-Schutzmaßnahmen hieß es im Sommer für die Oper „Land unter“, und so behilft sich das Ensemble mit Ausweich-Quartieren, leider auch außerhalb Wuppertals.
Unser gemeinsamer Atem
01. September 2021
Es ist eine verrückte Zeit. Der Sommer des Aufatmens scheint vorüber, für die Geimpften und Genesenen soll ihm ein Herbst der Normalität folgen, ohne Masken, Abstand und Gedöns. Den Ungeimpften dagegen droht ein nicht nur symbolischer Lockdown: Sie sollen zu Hause bleiben – oder sich impfen lassen. Denn die Pandemie geht fast gänzlich unter ihnen weiter. Schneller und schneller infizieren sie sich und lassen auch die Zahlen in den Intensivstationen erneut steigen.
Keine Angst, nichts bleibt beim Alten
04. August 2021
Heute blicke ich von einer hohen Warte ins Tal der Wupper. Der Wanderurlaub in den Bergen der Steiermark entrückt das Kulturleben zu Hause. Der Blick in die Weiten lässt manche Sorgen an ihren Platz fallen oder sich gar in Luft auflösen.
Eine Frage jedoch lässt mich nicht los: Wie werden wir in naher Zukunft Kunst und Kultur machen können und welchen Stellenwert werden wir ihr geben?
Der Besuch der alten Dame in Wuppertal
23. Juni 2021
Der Sommer ist da, und man glaubt es kaum. Seit Monaten fieberten wir dem Ende jenes Lockdown light entgegen – bald erscheint die ganze Pandemie wie ein flüchtiger Spuk. Doch wie in einem guten Horror-Film meldet er sich kurz vor dem Abspann zurück, und wir alle wissen: er ist nicht vorbei. Ganz abgesehen von dem Elend, das sich jetzt in den ärmeren Weltregionen ereignen wird. Denn auch das hat die Pandemie wieder deutlich markiert: die Spaltung zwischen arm und reich.
Wir renovieren und zählen die Tage
Was macht ein geschlossener Kulturort?
19. Mai 2021
Heute schreibe ich nicht als Soloselbständiger meiner Zunft, sondern als Team-Mitglied eines Kulturvereins, des Insel e.V. Was macht so ein Verein, was macht ein Kulturort wie das Café Ada nach sechseinhalb Monaten „Lockdown light“, in denen keinerlei öffentliches und so gut wie kein internes Zusammenkommen möglich war und ist?
Die Pandemie treibt Prozesse voran
14. April 2021
Eine Sängerin erzählte mir neulich von einer Probe, bei der ein Tenor ziemlich indisponiert gewesen sei. Er habe dann eingestanden, dass er in Zeiten von Corona eben kaum gesungen, geschweige denn geübt habe. Kürzlich las ich in dieser Zeitung über ein gestreamtes Konzert, der Bariton habe keine leichte Höhe gehabt, da musste ich wieder daran denken, auch wenn es vielleicht nichts damit zu tun hatte. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Ich habe es Monate lang kaum geschafft, mich zum Üben oder Einstudieren neuen Repertoires zu motivieren. Auch als Künstler arbeiten wir auf ein Ziel hin, immer wieder. Wenn dieses Ziel wegfällt, fehlt ein entscheidendes Moment. Sängerinnen proben eine Oper, die dann auf Eis gelegt wird und Wochen später plötzlich in einem Feldversuch vor getestetem Publikum aufgeführt werden soll. Also schnell alles wieder hoch holen!
Angenehm betäubt?
Torsten Krug über die Sehnsucht nach Resonanz
17. März 2021
Beim letzten Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker gab es eine technische Innovation: 7000 Menschen auf der ganzen Welt hatten sich zuvor registrieren können, um am Ende des Konzertes via Handy Applaus zu spenden. Es muss ein gespenstischer Moment gewesen sein, als dem Dirigenten Ricardo Muti und dem Orchester im leeren Goldenen Saal des Wiener Musikvereins dieser virtuelle Applaus eingespielt wurde. Die „Polka schnell“ von Strauss, kommentierte Muti, sei „wie ein rasanter Zug, der in einem Bahnhof einfährt. Da erwartet man, dass jemand dort auf einen wartet und reagiert“.
Die Firma in uns
Über die Fallstricke der Antragskunst
Kann das weg?
Gedanken zur Kunst am Ende eines verdammten Jahres
Das ist unsere Zeit!
Erst das Fressen, dann die Moral, brachte es Brecht auf den Punkt
Das große „Trotzdem“ – Kultivieren wir unseren Kontakt
Sichere und inspirierende Orte müssen bewahrt werden
Theater sind Orte, die sich mit Inszenierungen auskennen. Vor einigen Wochen waren meine Frau und ich auf einer Premiere im Schauspielhaus Bochum. Im Foyer treffen wir auf mehr Einlasspersonal als Publikum. Wir warten auf Gäste, die in der Mitte der Reihe gebucht haben; erst dann können wir, die weiter außen sitzen, in den Theaterraum eingelassen werden. Bei den Verspäteten handelt es sich um ein junges Paar, das sich kurzzeitig trennen muss: er betritt den Saal von rechts, seine Freundin muss auf die andere Seite des Gebäudes, dann sitzen beide wieder nebeneinander in der Mitte. Die Premiere kann mit einer Viertel Stunde Verspätung beginnen.
Ausgehustet
Das Publikum ist rar geworden
Ein aktueller Cartoon von Til Mette zeigt vier Musikerinnen und Musiker, die von der Bühne aus in einen leeren Zuschauerraum blicken. Eine Art Saaldiener weist auf den einzigen Zuhörer mit den Worten: „Werte Künstler, heute Abend wird das Publikum gespielt von Tim Schröder aus Herten.“
Kultur ist relevanter denn je
Raus aus der Höhle
Auf einer Geburtstags-Party vor einigen Jahren erfuhr ich, wie reich Wuppertal an Bunkern und Höhlen sei. Der Mann erzählte mir von verzweigten Gängen und unterirdischen Räumen, gar Hallen, zu denen er Zugang habe und regelmäßig Gruppen führe, um dort zu fotografieren.
Flanieren als künstlerischer Akt
Gedanken über das Sichtbarsein
Auf Arte lief jahrelang die legendäre Reihe „Durch die Nacht mit …“: Zwei mehr oder weniger prominente Menschen aus dem Kulturleben wurden nachts in ein Taxi gesetzt und sich selbst überlassen. Unterwegs waren einige Begegnungen und Orte des Verweilens für sie arrangiert, ansonsten war es an ihnen, miteinander ins Gespräch und bestenfalls sich näher zu kommen. Nur Wenige verführte die Kamera zur Selbstdarstellung. Meist entstanden Momente von ungewöhnlicher Nähe und Authentizität, die mich als Zuschauer tatsächlich teilhaben ließen an einer Begegnung.
Spielen am Abgrund
Ist das System noch relevant?
An Pfingsten, dem Fest, an dem Geist über uns kommen soll, haben rund 50 Berufsmusikerinnen und -musiker nahe der Tagebaukante Garzweiler Beethovens 6. Symphonie aufgeführt, um gegen den Klimawandel ein Zeichen zu setzen. Beethoven liebte die Natur, in seiner „Pastorale“ hat er dieser Liebe Ausdruck gegeben.
Ins Digitale und wieder zurück
Kunst und Kultur verlangen nach neuen Räumen für Begegnung
Lockerungen! Was für ein verführerisches Wort! Haben wir nicht alle genug Zeit in diesem Alptraum verbracht? Haben wir nicht einen Anspruch darauf, belohnt zu werden für unsere Disziplin, unsere Einsamkeiten, Verluste, unsere Genügsamkeit? Nach einem im Vergleich mit anderen Ländern leichten wie kurzen Lockdown möchten viele zurück zur „Normalität“, was immer das ist. In einem Interview in der Taz mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach lese ich, dass das Virus noch bis 2022 unser Leben bestimmen werde, mit Masken, Abstandsgeboten und Hygieneregeln. Für Großveranstaltungen, aber auch Kneipenbesuche sieht Lauterbach noch lange schwarz. Maßgebliche Virologen und auch die Kanzlerin warnen davor, das bisher Erreichte leichthin zu verspielen.
Nicht möglich! Was das Virus uns zeigt
Schöpferischer Mut - das Gebot der Stunde
Wir sind ein Chor
Torsten Krug über gemeinsame Kulturarbeit
Der Kultur ein Zuhause
Torsten Krug über die Wiederkehr des Salons
Wir kennen die Bilder aus Zeiten Franz Schuberts, auf denen ein illustrer Kreis von Damen und Herren, um einen Flügel gedrängt, andächtig einer Sängerin oder einem Dichter lauscht. Schubert selbst hat seine Lieder nie in einem größeren Konzertsaal gehört. Das war nicht der rechte Ort für diese intimen Äußerungen, das Hammerklavier gab die Lautstärke dafür auch gar nicht her.